Umwelt-, Sozial- und Governance-Probleme („ESG“ = Environmental, Social and Governance) sind zu einem enorm wichtigen Thema für global tätige Unternehmen und Regierungen geworden. Überall auf der Welt wird der Ursprung der Lieferketten (das „Wie“ und nicht nur das „Was“) immer genauer unter die Lupe genommen, da dubiose Praktiken und kleine Märkte für wichtige Rohstoffe durch den zunehmenden Druck von Aktionären, Regierungen, Interessengruppen und der breiten Öffentlichkeit aufgedeckt werden. Die Zunahme der sogenannten „Greenwashing“-Klagen, wie kürzlich bei H&M, KLM und Ryanair, bedeutet, dass es ein erhebliches Unternehmensrisiko darstellt, wenn ein Unternehmen in Bezug auf ESG-Aspekte übertriebene oder falsche Angaben macht. Rechtsstreitigkeiten im Zusammenhang mit Greenwashing – bei denen es um vage, ungenaue, überholte, unbegründete oder falsche Erklärungen über die Tätigkeiten oder Produkte eines Unternehmens geht – stellen einen Trend dar, der unseres Erachtens stark zunehmen wird.
Die bedeutendste Änderung in diesem schnelllebigen Bereich ist der Richtlinienentwurf der Europäischen Kommission zur unternehmerischen Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit („die Richtlinie“). Dieser Entwurf wurde am 23. Februar 2022 veröffentlicht und – obwohl Änderungen vor der gesetzlichen Verabschiedung möglich sind – sieht wesentliche Änderungen im Bereich der Menschenrechte und umweltbezogenen Sorgfalt für Lieferketten in der ganzen Welt für die betreffenden Unternehmen vor.
Die vorgeschlagene Richtlinie ist breit gesteckt und hat Auswirkungen auf drei unterschiedliche Unternehmenskategorien, die von der Kommission wie folgt festgelegt wurden: Gruppe 1: Große EU-Gesellschaften mit beschränkter Haftung. Laut EK werden ca. 9.400 Unternehmen in diese Kategorie fallen. Um Gruppe 1 anzugehören, muss die Gesellschaft ihren Sitz in der EU haben, mindestens 500 Arbeitnehmer beschäftigen und einen weltweiten Nettoumsatz von mindestens 150 Mio. Euro aufweisen. Gruppe 2: Gesellschaften, der ca. 3.400 Gesellschaften in sogenannten „High Impact“-Sektoren angehören. Weitere Kriterien für eine Gesellschaft der Gruppe 2 sind mindestens 250 Arbeitnehmer und ein weltweiter Nettoumsatz von mindestens 40 Mio. Euro. Diese Gesellschaften müssen außerdem in definierten „High-Impact-Sektoren“ tätig sein, die laut der Europäischen Kommission „Textilien, Landwirtschaft und Mineralgewinnung“ einschließen. In Anbetracht des mit diesen Gesellschaften verbundenen hohen Risikos wird vorgeschlagen, dass die Bestimmungen der Richtlinie „zwei Jahre später in Kraft treten als die Bestimmungen für Gesellschaften der Gruppe 1“. Gruppe 3 enthält Nicht-EU-Gesellschaften, die in der EU gewerblich tätig sind und einen Umsatz bis zum relevanten Schwellenwert in der EU erwirtschaften. Die Richtlinie gilt nicht für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), jedoch können diese unter Umständen „indirekt“ von verschiedenen Bestimmungen der Richtlinie betroffen sein.
Die Richtlinie ist wahrscheinlich die schlagzeilenträchtigste Änderung, der andere Länder folgen werden, weil ESG-Aspekte zunehmend geschäftskritisch werden. In den USA arbeitet das Investment Committee der Securities and Exchange Commission (SEC) zurzeit an Vorschlägen zur Einrichtung eines ESG-Offenlegungsrahmens, der für in den USA tätige Unternehmen weitreichende Konsequenzen haben könnte. In anderen Ländern wie z. B. Frankreich werden von Unternehmen in zunehmendem Maße freiwillig entsprechende Verhaltenskodexe eingeführt.
Der britische Modern Slavery Act (MSA) wurde als Goldstandard für den Schutz vor den schwersten Bedrohungen und Verstößen gegen die Menschenrechte gepriesen. Die Richtlinie der Europäischen Kommission geht weit darüber hinaus, stärkt die Bedeutung des MSA und könnte potenziell global angewendet werden. Sie wirkt sich auf alle Ebenen der Lieferkette aus, d. h. vom Rohmateriallieferanten bis hin zum Endhändler. Die Richtlinie führt neue Hilfsmittel ein, wie Überwachung, Geldbußen, Entschuldigungen, Schadenersatz und Anordnungen zur Verhaltensänderung. Im Unterschied zum MSA gilt sie für alle Unternehmen, die gewinnbringend in der EU tätig sind.
Die Richtlinie basiert teilweise auf der Rechtsstudie des British Institute of International and Comparative Law aus dem Jahr 2020, die von der EU in Auftrag gegeben wurde. Obwohl sich die Richtlinie u. a. an die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (United Nations Guiding Principles on Business and Human Rights, UNGP) anlehnt, wurde kritisiert, dass sie nicht weit genug gefasst ist. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Bedenken, dass die Richtlinie in einigen Bereichen nicht über jetzige Normen wie die UNGP hinausgeht und dass sie nicht die gesamte Lieferkette abdeckt (Ausschluss von KMU).
Die Kommission hat zum Ausdruck gebracht, dass betroffene Unternehmen eine Reihe neuer Verpflichtungen erfüllen müssen, darunter:
Außerdem fallen Änderungskosten an und es muss sichergestellt werden, dass die eingeführten Änderungen „von Anfang an“ richtig umgesetzt werden.
Ja. Die Richtlinie gilt für Unternehmen, die innerhalb der EU verkaufen, und nicht nur für Unternehmen, die ihren Sitz in einem Mitgliedsstaat haben.
Die dritte Gruppe von Gesellschaften schließt Unternehmen ein, die aktiv in der EU tätig sind und einen Umsatz von mehr als 150 Mio. Euro oder zwischen 40 Mio. Euro und 150 Mio. Euro in der EU erwirtschaften, vorausgesetzt, dass mindestens die Hälfte dieses Umsatzes aus den „High Impact“-Sektoren stammt. Das bedeutet, dass eine Reihe britischer Unternehmen unter die Richtlinie fällt und diese befolgen muss, um Sanktionen zu vermeiden. Auch wenn sich das Vereinigte Königreich nach dem Brexit nicht strikt an den Wortlaut des EU-Rechts halten muss, ist es wahrscheinlich, dass im Vereinigten Königreich ein ähnliches System eingeführt werden muss, damit seine multinationalen Unternehmen in der EU die gleichen Bedingungen vorfinden.
Möglicherweise benötigt das Vereinigte Königreich eine ähnliche Aufsichtsbehörde wie die EU-Mitgliedsstaaten. Eine fehlende Abstimmung mit der EU könnte zu einer uneinheitlichen Umsetzung führen und dazu, dass britische Unternehmen in bestimmten Mitgliedsstaaten gegen die Vorschriften verstoßen, in anderen jedoch nicht, je nachdem, wie die Vorschriften in den einzelnen Ländern umgesetzt werden. ESG-Probleme machen nicht an Grenzen halt, und dies ist ein gutes Beispiel dafür, dass das Vereinigte Königreich weiterhin in den Bereich des EU-Rechts und der EU-Governance fällt.
Als Unternehmen wird von Ihnen erwartet, dass Sie sich sicherheitsbewusst, verantwortungsvoll und nachhaltig verhalten. Die Schaffung einer transparenten und partnerschaftlichen, auf kontinuierliche Sorgfaltsverbesserung ausgerichteten Lieferkette sollte für Unternehmen der erste Schritt sein, um zukünftige Bußgelder und Rufschäden zu vermeiden. Mithilfe unseres Ethischen Geschäftsprogramms können Unternehmen gewährleisten, dass sämtliche Stakeholder internationales Recht und effiziente ESG-Verfahren befolgen und dass alle Arbeitnehmer im Einklang mit ihren Werten leben und arbeiten können. Bitten Sie um einen Anruf, um mehr zu erfahren.
Diese FAQs wurden von David Hansom, Partner & Head of Procurement Law bei Clyde & Co zusammengestellt, der auf Aspekte des globalen Lieferketten-Managements und Beschaffung spezialisiert ist.